Getrenntes Zusammensein

 

Zu den größten Mysterien des menschlichen Daseins gehören zweifellos diejenigen Erscheinungen, die uns einerseits am nächsten sind, uns daher fast schon als selbstverständlich erscheinen, die sich dann aber andererseits, bei dem Versuch einer eingehenden Betrachtung, unseren Bemühungen um ein genaueres Verständnis immer weiter entziehen, gerade je näher wir ihnen zu kommen trachten, ganz so wie es dem Tantalos seit Alters her ergeht mit seinem Speis und Trank drunten im Tartaros. Eines von diesen so schwer zu ergreifenden Subjekten, die nichtsdestotrotz seit Menschengedenken ungebrochen zu den faszinierendsten Studienobjekten zählen, ist wohl die Seele. Sie wohnt uns ja sogar inne und hält uns am Leben, so daß man doch ohne weiteres annehmen sollte, wir alle könnten mit der allergrößten Leichtigkeit und in aller Genauigkeit über sie Auskunft geben, dennoch, wie eingangs erwähnt, bleiben uns die Einzelheiten ihrer Existenz weitgehend rätselhaft, ihre genaue Natur verborgen; wo sie herkam, wo sie hingeht, welchen Gesetzmäßigkeiten sie während ihres hiesigen Aufenthaltes eigentlich unterliegt, wissen wir auch nach Jahrtausenden kollektiver Forschung immer noch nicht mit letzter Bestimmtheit zu sagen. Sicher, wundervolle Theorien gibt es, akribisch ausgearbeitet, über dieses Wunder der Natur, mit ebenso wunderbaren Erklärungen, doch viele Fragen bleiben offen, viele Antworten widersprüchlich. Wir können jedoch, mit etwas Glück, immer wieder einmal staunend Zeuge werden der einen oder anderen ganz besonderen Manifestation dieser Lebenskraft, so wie sie sich zugetragen hat gemäß der nachfolgenden Geschichte, von der wir nun gleich Bericht erstatten wollen.

Es trug sich also zu, daß wieder einmal ein junger Knabe auf die Welt kam, um genau zu sein im Herzen Europas, zu glücklicher Stunde, denn es herrschten gerade keine Kriege, Hungersnöte oder Epidemien, sondern rundherum sorglose Zeiten, in denen er denn auch, den dortigen Gepflogenheiten entsprechend, in aller Ruhe aufwachsen sollte.

Zu genau gleicher Zeit, einige tausend Kilometer weit entfernt, in Südostasien, erblickte ebenfalls ein frischgebackener Knabe die Welt, auch er verwöhnt von sorglosen Eltern, wenngleich natürlich auf etwas andere Art und Weise, ganz gemäß den wiederum in den dortigen Breiten-­‐ und Längengraden vorherrschenden Gewohnheiten.

Es begab sich nun aber, daß beide Kinder auf wundersame Weise miteinander verbunden waren, gleich so, wie man es mitunter von echten Zwillingsgeschwistern vernimmt, die sich quasi ohne Worte verständigen können und vom Empfinden des anderen wissen, als wäre es das eigene. Wie man sich denken mag, hatten sie, während sie da beide so in ihren verschiedenen Teilen der Welt aufwuchsen, natürlich keine konkrete Vorstellung von der jeweiligen Existenz des anderen, wenngleich schon so etwas wie eine dumpfe Vorahnung, daß es da noch jemanden gäbe, der genau so wie sie fühlte und dächte und irgendwie dasselbe Schicksal mit einem selbst teilte. Ja, im Verlaufe der Jahre wurde diese Vorahnung zu gewissen Stunden so stark, daß sie in Gewißheit umschlug, und sich die Sehnsucht einstellte, die eigene Zwillingsseele auf der Stelle zu finden. Die eingangs noch naiv danach befragten Eltern taten dies als eine der üblichen Kinderphantastereien ab und meinten nur, was zusammengehöre, werde sich schon finden, es würde sich alles von selbst ergeben. Da jedoch im folgenden nie irgendwer ihnen gegenüber auch nur die leiseste Andeutung machte, daß derlei Fernverbindungen ebenso auch bei ihren Anverwandten an der Tagesordnung wären, zogen sie es schließlich vor, ganz darüber zu schweigen und ihr Geheimnis lieber für sich zu behalten.

Den für alle gleichermaßen geltenden Naturgesetzen treu ergeben waren einige Jahre später aus den niedlichen Knaben erst hübsche Buben, dann fesche Jünglinge geworden. Der eine besuchte die höhere Schule, denn er war intelligent und sollte hernach studieren; der andere durfte als einer der wenigen jungen Dorfbewohner zum Unterricht in den Tempel kommen, wo die begabteren Schüler unterrichtet wurden, zumal mit der Option, bei entsprechender Veranlagung anschließend in den Klosterdienst eintreten zu dürfen. Dies bedeutete lebenslange, wenngleich bescheidene Versorgung und hohes Ansehen auch für die Eltern und war daher durchaus eines der erstrebenswerteren Ausbildungsziele. Wir kürzen ab, denn die Zeit drängt ja heutzutage immer erbarmungsloser, so den Berichterstatter wie den Zuhörer, vorbei die Zeiten, da das Geschichtenerzählen ein eigener Beruf war, um das Publikum für Stunden in den Bann zu ziehen, nur durch die Macht der Worte, ohne laufende Bilder. Unsere beiden Helden sind nun also im besten Jünglingsalter angekommen, der eine ein frischgebackener Doktor, der andere ein geweihter Mönch. Nie hatte sie ihr

Zusammengehörigkeitsgefühl verlassen, an manchen Tagen schon, sicherlich, aber mit schöner Regelmäßigkeit wußte der eine vom anderen, was er gerade machte und dachte, nämlich dasselbe wie man selbst.

Unser Herr Doktor beschloß also, nach dem erfolgreichen Abschluß seiner mühsamen Studien eine kurze Auszeit zu nehmen und sich -­‐ endlich -­‐ auf die Suche nach seinem alter ego zu machen. Er wußte natürlich nicht wo, aber er hatte viel von der Kunst gewisser asiatischer Mönche gehört, das Irrationale rational werden zu lassen, und sich für einen einmonatigem Aufenthalt in einem dortigen Kloster entschieden; der Schriftverkehr war schnell getan, die Einladung ausgesprochen, und schon bald saß er im Flieger Richtung Südostasien.

Zu gleicher Zeit, man ahnt es schon, hatte auch unser junger Mönch seinen Abt gebeten, einmal in den Westen reisen zu dürfen, um nach dem unbekannten Bekannten Ausschau zu halten, den er intuitiv dort vermutete. Der alte Mönch war natürlich in alles eingeweiht, vor seinem Oberen hat man keine Geheimnisse, und hatte den Reiseplänen nach kurzem Zögern zugestimmt. Wir wissen auch, warum er kurz zögerte: denn er hatte just ein Schreiben aus Europa bekommen, betreffs des Besuchs eines jungen Mannes, und obgleich dies des öfteren vorkam, mußte er diesmal kurz -­‐ wir sagten es schon -­‐ an die unergründlichen Geschehnisse des Lebens denken, die wir gemeinhin als Zufall zu bezeichnen gewohnt sind, wohingegen dergleichen Konzepte eines echten Mönches zweifellos unwürdig sind, der natürlich von einer großen zusammenhängenden Komposition der Symphonie des Lebens ausgeht und infolgedessen auch sogleich beschloß, wie es eben die Art solcher Meister ist, den Dingen ihren Lauf zu lassen und sich nicht einzumischen: kurz, der Urlaub wurde gewährt, wann immer der junge Ordensbruder nun meinen sollte, daß die Zeit dafür gekommen sei. So wurde auch hier die Reise geplant zu einigen Zielen kultureller wie auch ordensmäßiger Bedeutung, einige Brüder sollte er bei der Gelegenheit dort besuchen, Verschiedenes ausrichten und besprechen, und alsbald fehlten nur noch wenige Tage bis zur großen Abreise.

Geschickt, wie das Schicksal nun einmal ist, gelangte der junge Doktor just am Abend vor der Abreise des anderen im Kloster an, und es hätte eigentlich unserem jungen Ordensmann, des Englischen mächtig, oblegen, ihn einzuweisen: allein, seine eigenen Reisevorbereitungen hielten ihn erst auf, dann ab, und er wollte hernach auch bald zu Bette gehen, gleich wie sein antipodisches Pendant, das, ebenfalls entsprechend müde, sich nach Austausch der gebotenen Höflichkeiten ebenfalls auf dem kürzesten Wege zur Ruhe in dem ihm freundlicherweise zugewiesenen Gästetrakt begab. Zwei Stockwerke höher, senkrecht über ihm: das eigentliche Ziel seiner Reise. Beide schliefen sie zunächst unruhig, beide waren sie voller Erwartungen, beide träumten sie dann schließlich doch noch ruhig vom Erfolg ihrer ganz persönlichen Mission, denn auch jetzt funktionierte die Verbindung, durch die Nähe eher noch besser, und gab ihnen von neuem die erhoffte Gewißheit ein. Am nächsten Morgen hieß es Abschiednehmen, der junge Mönch schickte sich an, das Kloster zu verlassen. Er holte sich den Segen seines Vorstehers, der ihm noch die folgenden Worte mit auf den Weg gab:

„Erst wenn die Motte das Licht ein paar Mal umkreist hat, stürzt sie hinein.“

Er verstand, er akzeptierte, er war geschult im Geduldüben. Dann blickte er noch mal zum Gästehaus: immer wieder einmal kamen abgearbeitete Westler, um sich aufzupäppeln, und entschwanden dann wieder in ihre Welt, er mußte diesmal seinen eigenen Weg gehen. So stieg er denn in den Bus und setzte sich ans Fenster. An seinem Fenster stand nun auch der Doktor, Wunder was wachgeworden in dieser Herrgottsfrühe, und sah auf den Bus, der ihn gestern hergebracht hatte. Eine Flamme loderte in ihm auf, er fühlte sich dem anderen nahe, ganz nahe, ohne daß er ihn jedoch auf der ihm abgewandten Busseite hätte sehen können. Ja, die Reise würde ein Erfolg werden! In diesem Moment merkte es natürlich auch der andere, irgendetwas war heute intensiver, doch er schob es auf die Vorfreude und nahm es als gutes Omen, seine Reise stehe unter einem guten Stern und würde, jawohl, ein Erfolg werden, zudem war er stolz auf seine erste Mission, die er so ganz der Großzügigkeit und dem Vertrauen des Klosters verdankte. Am Fenster der Abtsstube war noch ein Augenpaar auf das Geschehen gerichtet, nur mit dem bedeutenden Unterschied, daß sich in dem dahinterliegenden Bewußtsein die Gedankengänge beider Zwillinge klar widerspiegelten, neben einer Ahnung, wie es wohl weitergehen mußte. Dann rollte der Bus von dannen. So war nun diese erste Gelegenheit verpaßt, wie so viele im Leben, nur gut, daß die Beteiligten es meistens gar nicht merken, solcherlei bittere Erkenntnis ertragen oder gar würdigen zu können ist nur etwas für fortgeschrittene Wanderer des Weges.

Der Monat ging vorbei mit einem klein wenig an Unbehagen für unseren Doktor ob des erhofften, doch ausgebliebenen persönlichen Erfolgserlebnisses, bei aller sonstigen Zufriedenheit und dem Genießen aller weiteren Vorteile seines Aufenthaltes, der es ihm so wunderbar gestattet hatte, sich einmal an einem abgeschiedenen Ort mehr mit der inneren als mit der äußeren Welt beschäftigen zu dürfen. Schon stand erneut die Abreise bevor. Wie üblich durfte der Gast sich persönlich vom Oberen verabschieden, und dieser, inzwischen zum zweiten Mal über die beiden verbundenen Seelen informiert, gab ihm noch mit auf den Weg:

„Erst wenn die Motte das Licht ein paar Mal umkreist hat, stürzt sie hinein.“

Ohne daß dies nun dem jungen Mann -­‐ jedenfalls unmittelbar -­‐ zu irgendeiner Form von Erleuchtung verholfen hätte, so wie er es insgeheim ja doch irgendwie gehofft hatte ob der Ehre, von so erlauchter Quelle direkt gelabt zu werden.

Zu gleicher Zeit waren auch am anderen Ende der Welt die offiziellen Arbeiten zwar keineswegs unerledigt, die persönlichen Wünsche aber unerfüllt geblieben, und die Heimkehr stand an. Am Flughafen hieß es nun warten, kein Problem, er war geschult im Geduldüben. Auf der Besucherterrasse konnte er noch einem Flugzeug bei der Landung zusehen, es kam aus seinem Heimatland und sollte auch ihn dorthin zurückbringen. Abermals flammte die altbekannte Gewißheit in ihm auf; was, wenn ausgerechnet einer der Besucher im Kloster nun der eigene Bruder wäre? Hatte er diese Möglichkeit nicht schon bei seiner Abreise bedacht? Vielleicht wartete jener schon auf seine Ankunft? Er hatte immer noch etwas Zeit, seine Maschine wartete noch auf einen Anschlußflug, keine Eile heute. Schließlich ging er gedankenversunken los in Richtung Abfluggate, wobei ihn sein Weg wie von unsichtbarer Hand gelenkt just über die Ankunftshalle führte. Dort strömten gerade die Touristen aus dem Zollkontrollbereich wie die Ameisen aus ihrem Bau beim ersten Sonnenstrahl nach dem Regenguß; er abstrahierte dies sogleich und nahm nur noch bunte Punkte war, die durcheinander wuselten und dabei einer unsichtbaren Regieanweisung Folge zu leisten schienen, wie die einzelnen Gefährten eines rotierenden Vogelschwarms, die sich wie ein choreografiertes Ballett mal synchron, mal asynchron zueinander bewegen, und doch bei aller Geschwindigkeit und Akrobatik niemals zusammenstoßen. So entging ihm auch ein gewisser Doktor, der, etwas müde vom langen Flug und noch ganz in Gedanken über Erlebtes und noch zu Erlebendes, seinen kleinen Trolley hinter sich herschleifend wie ein Kind seinen übergroßen Teddybären, langsam Richtung Bahnanschluß trottete, um heute nacht mal wieder im eigenen Bette zu schlafen, was ja bekanntlich am besten funktioniert. Beide wurden sie wieder der Nähe des anderen gewahr, und beide schoben sie dies auf die vor bzw. hinter ihnen liegende Reise. Hätte unser Doktor sich doch nur einmal noch umgedreht, sicher hätte er den ihm altbekannten fremden Mönch auf der Balustrade ausgemacht, dessen farbenfrohe Ordenstracht ihm inzwischen nur allzu vertraut war, und ihn ansprechen können, allein, er tat, was Orpheus und Frau Lot nicht vermocht hatten, und ging schnurstracks weiter, seinem Schicksal entgegen. Schade, auch diese Gelegenheit war ungenutzt verstrichen; nur gut, daß es nicht die letzte war, denn was ehrlich ist, kommt wieder.

Nun müssen wir uns aber wirklich sputen, der Geduldsfaden hält sonst weitere Spannung nicht mehr aus, halten wir also die FF-­‐Taste für einen Moment lang gedrückt und spulen etwas vor in Richtung Zukunft: denn einige Zeit später fand ein großer Kongreß statt in einer der zahlreichen, über die Welt verstreuten Konferenzmetropolen, zu dem auch der immer noch junge Doktor angereist war, denn solcherlei Gelegenheiten zum internationalen Gedankenaustausch lagen ihm sehr und kamen ihm auch sehr gelegen, zumal er anläßlich dessen gleichzeitig seiner Leidenschaft fürs Reisen frönen konnte, eines Hobbys, welches er nicht ohne die stille Hoffnung betrieb, eines Tages in irgendeinem Winkel der Welt doch noch seinem wahren Bruder über den Weg zu laufen. Zu gleicher Zeit, am gleichen Ort, war denn auch tatsächlich unser junger Mönch zugegen, denn sein Oberer hatte ihn erneut auf Missionsreise geschickt, um dem dort neu gegründeten Ordenszentrum Einstandshilfe zu leisten, wohl wissend, daß das Schicksal zwar meistens Umwege geht, immer aber ans Ziel gelangt. So begab es sich, daß abends ein Einweihungsfest gegeben wurde, zu dem auch Außenstehende kommen durften; unser Doktor hatte, sich nach besonderen lokalen Veranstaltungen erkundigend, ebendieses ausgemacht und ob seiner überaus positiven Erinnerung an seinen Lehrmonat im bergigen Dschungel Südostasiens sogleich beschlossen, dortselbst zugegen sein zu wollen, wenngleich ob anderer konferenzbedingter Verpflichtungen erst zu etwas fortgeschrittener Stunde. Er traf also ein, es war schon dunkel, und die Mönche hatten ein schönes Lagerfeuer im Hof entfacht,

lustig anzusehen mit all den züngelnden gelb-­‐roten Flammen und zahlreichen kleinen fliegenden Besuchern, die es lüstern umkreisten und dann und wann dem Knacken des Holzes ein kurzes Knistern hinzufügten. Dort saß er nun und starrte in die Flammen. Auf der anderen Seite, ihm diametral gegenüber, saß noch jemand und starrte in die Flammen, eine alte Meditationstechnik übend. Noch war das Feuer zu hoch und zu hell, als daß sie sich sitzend hätten sehen können, dennoch wußten sie beide plötzlich: der andere ist wieder da -­‐ ist hier! Langsam, gleichzeitig, wie synchronisiert, erhoben sich beide und gingen, mit einer gehörigen Portion Herzklopfen, sich höflich an den anderen zweibeinigen Besuchern vorbeischlängelnd, um das Feuer herum. Wenn zwei Gleichgesinnte zusammen etwas unternehmen und es gleichartig ausführen, so ist dies ja an und für sich etwas Positives und sollte zum Gelingen beitragen, nur kann Perfektion in manchen Situationen auch hinderlich sein, nämlich dann, wenn wie hier beide wie die Satelliten mit gleicher Geschwindigkeit um die Erde kreisen und sich gerade deswegen nicht treffen: so standen sie denn alle beide bald wieder unverrichteter Dinge an ihrem jeweiligen Ausgangspunkt und überlegten, wie es wohl weitergehen sollte. Nun, endlich ruhig stehend, blickten sie erneut in das Feuer, und von dort einfach nur geradeaus, wo die lodernden Flammen zwischen dem Verspeisen von mit einigen Insekten gewürztem Holze ab und an den Blick freigaben auf -­‐ den Blick, den Blick des anderen! Da sahen sie sich endlich! Beide wußten sofort, was Sache war, nun gab es kein Halten mehr, kein Zweifeln, der andere, der andere! Noch ein ganz kurzes Zögern durchlief sie, wer läuft nun in welche Richtung, da hob der Mönch entschlossen die Hand, mehr brauchte es nicht, der Doktor konnte seine wieder sinken lassen, er wußte, er sollte warten, sonst hätten sie sich beide vor lauter Kreiseln erst am Sanktnimmerleinstag getroffen; schon rafft unser Mönch seine Kleidung auf, duckt sich, holt Schwung, und -­‐ mit einem Riesensatz -­‐ springt er über das Feuer hinweg, dem verblüfften Doktor geradwegs in die Arme.

„Erst wenn die Motte das Licht ein paar Mal umkreist hat, stürzt sie hinein!“

Riefen sie beide wie aus einem Munde und lachten, lachten, laut und herzlich, lachten, so lange, bis es die ganze Gemeinschaft angesteckt hatte, die sich alle ohne Ausnahme noch lange an dieses fröhliche Wiedersehen erinnern sollten.

Es ist schon etwas Besonderes, wenn zwei füreinander bestimmte Seelen aufeinandertreffen, und es muß ebenfalls zu den besonderen Dingen im Leben gezählt werden, wenn man einfach nur Zeuge eines solch historischen Augenblickes werden darf. Ob das hier geschilderte Phänomen der besonderen, fast schon telepathischen Verbindung zweier Freunde nun etwa für alle Menschen zutrifft, vermögen wir nach bestem Wissen und Gewissen nicht mit Bestimmtheit zu sagen, vielleicht gibt es derer viele, vielleicht nur wenige, zumindest aber ist uns dieser eine Fall hier zu Ohren gekommen, den wir für glaubwürdig genug hielten, um vorliegend von ihm Zeugnis abzulegen. Denn trotz aller fortgeschrittener Wissenschaft und Weisheit lernt man doch nie aus, und gerade die wunderbarsten und unglaublichsten Spielarten des Lebens sollten wir niemals von vornherein ablehnen, sondern ihnen möglichst unbefangen gegenübertreten, damit wir so dem Echten und Wahren unter dem uns Unbekannten die Chance einräumen, einmal ans Licht gelangt zu unserer eigenen Bereicherung beizutragen.

 

© Der Cyber-­‐Mönch ISBN-­‐13: 978-­‐8490156377